03.10.2015
Mitten in der Nacht werde ich
wach, denn die Blase drückt, was bei Männern im fortgeschrittenen Alter schon
mal vorkommen soll. Um Anne nicht auch noch zu wecken, taumle ich schlaftrunken
und ohne Licht ins Bad, setze mich beinahe neben das Porzellan und renne mir
auf dem Rückweg das Knie am Türrahmen ein. „Warum kennen Indianer eigentlich
keinen Schmerz?“, frage ich mich – dann bleibt mein Blick an der Digitalanzeige
des Weckers kleben, der im Zeitbombenmodus die Sekunden bis zum Alarm
herunterzählt. 06:14:57 ……Autsch! Drei Sekunden später steht auch Anne im Bett,
denn ich schaffe es nicht mehr schnell genug an den Nachttisch zu humpeln, um
die „Bombe“ zu entschärfen. Anne wirft mir einen verschlafenen aber
vielsagenden Blick zu und vergräbt sich wieder im Kopfkissen. Recht hat Sie,
denn gefühlt bin auch ich gerade erst eingeschlafen. Also krieche ich wieder
unter die warme Bettdecke und blättere im hundertseitigen - sich ständig
aktualisierenden Ausredenkatalog, auf der Suche nach einem guten Grund heute blau
zu machen.
Keine Ahnung wie ich es halb
sieben aus der Heia schaffe, aber immerhin, ich stehe und halte mich aufrecht.
Die Anstrengungen der letzten Wochen haben ihre Spuren hinterlassen und ich bin
schon beinahe froh am morgigen Sonntag in die Off-Season rollen zu dürfen. Ein
alter Mann ist halt kein D-Zug! Nach einer heißen Dusche und 5 Tassen Café habe
ich endlich wieder Puls, drehe mir eine großen Schüssel frisch geflockten
Haferbrei hinter die Kiemen und strecke mich nochmal kurz auf der Ottomane.
Richtiges Rennfeeling will noch nicht aufkommen, denn die Erinnerung an meinen
letzten Auftritt beim Adelsberger-Bike-Marathon ist keine besonders gute. Hier
wurde ich vor 2 Jahren bei einem Überrundungsmanöver unsanft vom Bike geholt
und habe mir dabei einige böse Verletzungen zugezogen. Es ist zwar schön dass
der ABM so viel Zuspruch erhält, aber die zwanzig Kilometer lange Strecke ist
für 700 Starter der unterschiedlichsten Leistungsklassen einfach viel zu kurz!
Hier muss zur Sicherheit aller wirklich dringend etwas verändert werden!
Im Rahmen des letzten
RSV-Vereinsrennens bin ich für das 60-km Rennen vorgemeldet. Drei Runden also -
mit ca. 1500 Höhenmetern - was ich mir aber schon vorm Frühstück aus dem Kopf
geschlagen habe, denn die letzten noch verfügbaren Kraftreserven reichen heute
für maximal zwei Runden im Renntempo. Mehr will ich heute auch dem Kopf nicht
zumuten, denn der hat die Saison schon nach dem letzten Rennen beendet. Die
relativ kurze Anreise von C1D nach Chemnitz-Adelsberg ist zügig absolviert, ein
passender Parkplatz schnell gefunden und auch die Ummeldeformalitäten gehen
erstaunlich flott über die Bühne. Anne, die vorsichtshalber den großen
Verbandskasten eingepackt hat, ist in Sachen Verbottelung schnell eingewiesen,
da mehr als eine Flasche bei Rundendurchfahrt nicht nötig sein wird, um
halbwegs über die Distanz zu kommen. Irgendwie läuft alles etwas schneller wie
einkalkuliert, und so bleibt reichlich Zeit für eine vernünftige Erwärmung, bei
der ich feststellen muss dass der Motor - wider Erwarten - doch ganz solide
dreht.
Zum Saisonausklang gibt’s an
diesem 3. Oktober nochmal schönstes Feiertags-Spätsommerwetter, und auch die
Strecke meint es heute gut mit uns, denn die Trails und Waldwege sind
staubtrocken. Kurz nach halb elf geht’s neutralisiert in die Runde, das
Führungsfahrzeug verabschiedet sich am Schösserholz und die wilde Hatz wird
freigegeben. Im Anstieg gibt’s einige harmlose Attacken, die aber schon reichen
um das Feld mal grob zu entzerren. Auf der abschüssigen Plattenstraße rollt die
Meute wieder zusammen, im Gegenanstieg zieht es sich wieder etwas
auseinander, und die Einfahrt zur Halfpipe verläuft geordneter wie gedacht. An
dritter Position lasse ich es in den Anliegern ordentlich laufen, bremse mich
halbwegs geschickt durch den Ausgang und schließe zu den beiden Führenden
Heizern auf, die auf dem folgenden Höhenweg ordentlich am Gashahn zerren. Vorne
dabei sind heute: Fire-Biker und Vereinskollege Sascha Heinke, Tommy Galle vom
Panoramic Stevens Team und auch Jan Bretschneider von ProCycle, der aber noch
an den Folgen einer derben Augenverletzung laboriert und derzeit sicher nicht
sein volles Leistungspotenzial abrufen kann.
So ist es dann auch nicht
verwunderlich das Jan im langen Anstieg nach der Straßenquerung durchgereicht
wird und im folgenden Steilstück den Anschluss verpasst. Die Pace macht an
dieser Stelle Feuerwerker Sascha, aber auch Tommy macht einen wirklich frischen
Eindruck heute. Zu dritt kommen wir jedenfalls ganz gut weg, gasen hinunter in
den Hammergrund, und nehmen auch den verwurzelten Gegenanstieg recht zügig
unter die Pneus. Auf der folgenden, leicht ansteigenden Waldautobahn schaue ich
nochmal nach hinten, aber da ist schon kein Verfolger mehr in Sichtweite.
Läuft! Sascha und Tommy halten die Pace konstant hoch, der alte Mann übt sich
indes in Zurückhaltung, genießt die Bordmusic, schlürft an seinem isotonischen
Erfrischungsgetränk und freut sich des Lebens, an diesem herrlich, sonnigen
Feiertag!
Zu dritt holpern wir zügig um
die Waldränder des Adelsberges, queren die Straße, gasen über den Feldweg
zurück nach Adelsberg und erklimmen die kurze Rampe hinauf zum Siedlungsgebiet,
wo die neuen Häuser stehen - die man sonst nur aus der „Schöner Wohnen“ kennt.
Oben reicht mir Anne die finale Bottel der Saison, ich drücke mir zur Feier des
Tages noch ein Gel unter die Zunge, dann sind wir auch schon am Sportplatz mit
der Rundendurchfahrt und gehen in die zweite Runde.
Auf den Drückerstücken zur
Halfpipe geht jeder noch mal durch die Führung, die ständigen Überholmanöver
nerven jetzt zunehmend, und ich bin schon wirklich froh als wir auch die zweite
Abfahrt in den Hammergrund überstanden haben - die mir damals zum Verhängnis
wurde. Das muss man sich mal hochrechnen: 700 Starter auf 20 Kilometer. Nach
Adam Ries bleiben da für jeden Fahrer gerade mal 30 Meter Strecke. Klar ist das
eine Milchmädchenrechnung, aber Übertreibung macht’s halt anschaulich.
So langsam mache ich mir
Gedanken wie das heute ausgehen soll, denn an der letzten Straßenquerung
hinterm Adelsberg sind wir drei noch immer beisammen. Den Altersklassensieg hat
zwar jeder von uns schon in der Tasche, aber das ist nicht der Anspruch. Es
geht ums Gesamtpodest und ein Sieg zum Saisonabschluss wäre natürlich die
Krönung dieser recht erfolgreichen Saison. Aus meiner Sicht fällt die
Entscheidung sicherlich an der kurzen „Schöner Wohnen“ Rampe, darauf bin ich
vorbereitet, und ich vermute dafür heute nicht die schlechtesten Karten in der
Hand zu haben, jedenfalls wenn ich an die Auswertung der letzten Trainings denke.
Leider kommt es dann ganz
anders wie gedacht, denn auf dem holprigen Feldweg, kurz bevor wir Adelsberg
erreichen, laufen wir auf eine größere Gruppe von Fahrern auf. Keine Ahnung was
die schon hinter sich haben, aber Schleichfahrt ist da schon deutlich
untertrieben. Tommy kommt noch mit Schwung vorbei, ich werde rapide ausgebremst
und mache beinahe Stehversuche. Sascha hat den Braten gerochen, kann noch
rechtzeitig die Spur wechseln und schließt zu Tommy auf, während der
Straßenfahrer mit Schimpfwörtern kaum noch an sich halten kann. So eine Cheiße,
denn bevor ich das Bike wieder auf Renntempo beschleunigt habe, sind die beiden
schon 50 Meter voraus.
Mit Platz drei will ich mich
aber noch nicht abfinden, und setze so schnell es eben geht hinterher. An der
kurzen „Schöner Wohnen“ Rampe komme ich schon deutlich näher, und wirklich
interessant wird es auf dem folgenden, langen Straßenabschnitt vorm Sportplatz.
Da bin ich nämlich beinahe wieder dran, denn die beiden scheinen sich beim
Taktieren etwas zu viel Zeit gelassen zu haben. Am vorletzten Abzweig schließe
ich endlich auf, aber genau da stellt sich Tommy ins Pedal und eröffnet den
finalen Sprint. Den kann ich zwar noch mitgehen, dann hört aber auch bei mir
der Spaß auf.
Im Finale hat heute Sascha die
Nase vorn, und sichert sich nach 01:35:35 den 1. Platz. Tommy mit 01:35:36 auf
dem 2. Platz, und der Straßenfahrer komplettiert das Gesamtpodest nach 01:35:40
und belegt Platz 3. Wirklich Schade, denn ein Sprint auf Augenhöhe wäre heute
sicher interessant geworden! Wie auch immer, zufrieden bin ich trotzdem.
Mit diesem Erfolg
verabschiede ich mich aber nicht nur von dieser Saison, denn hier endet auch
die gemeinsame Zeit mit unserem Team-Stein-Bikes.
Kaum zu glauben wie schnell
die Zeit vergeht! Seit 5 Jahren bin ich nun Fahrer in unserem Team-Stein-Bikes.
Eine Zeit mit Höhen und Tiefen, mit vielen Erfolgen, aber auch Niederlagen.
Eine Zeit in der wir als Team viel erreicht haben und auf die ich sehr stolz
bin! Die Entscheidung fiel mir wirklich nicht leicht, aber die Zeit für einen
Tapetenwechsel ist gekommen. In der nächsten Saison werde ich für ein anders
Team am Start stehen. Nochmals vielen Dank für die schöne Zeit, die tollen
Erinnerungen und die Unterstützung - die mir während unserer gemeinsamen Zeit
zu Teil wurde. Ich wünsche unserem Team-Stein-Bikes eine sonnige, erfolgreiche,
lustige und gesunde Saison 2016.
Bleibt gesund und kommt gut
in die neue Saison!
Wir sehen uns an der
Startlinie.
Euer Straßenfahrer
Alle Infos zum Rennen und die
Ergebnisse guckst Du hier: